Nach unserer einwöchigen Wanderung in
der Annapurna-Region beschließen wir es in der nepalesischen
Tiefebene entspannt angehen zu lassen. Um von Pokhara dorthin zu
gelangen, trauen wir uns abermals im Bus auf Nepals schlammige
Schotterpisten. Waghalsige Überholmanöver bei regem Lkw-Verkehr in
einem vollen Touristentransporter, wir gewöhnen uns langsam daran.
Neu ist eine Zwangspause an der Straße wegen der defekten
Klimaanlage, der Busfahrer hält an mehreren abenteuerlich
aussehenden Werkstätten entlang der Straße. Irgendwann findet sich
ein kompetenter Schrauber und wir setzen unsere Reise durch die
Schlaglöcher fort.
Der Nationalpark liegt direkt am Rapti
River. Wir geben unserem Erholungsbedürfnis nach und mieten uns
einen herrlichen Unterschlupf im River View Jungle Camp – mit Blick
auf Fluss, Hochgras und Elefantenbad. Nach dem Ausflug in die Berge
mit klarer Luft und eher milden Temperaturen, müssen wir uns erstmal
an tropische Hitze und höhere Luftfeuchtigkeit in der Ebene hier
gewöhnen.
Stundenlanges Frühstücken am Fluss
und den Elefanten beim Baden zuschauen – das entspricht genau
unserer Vorstellung von Urlaubsmodus. Doch natürlich wollen auch wir
unsere Chance nicht ungenutzt lassen, hier vielleicht ein seltenes
Geschöpf zu Gesicht zu bekommen. Es ist nicht die vorteilhafteste
Jahreszeit für einen Besuch des Chitwan Nationalparks, denn um diese
Zeit ist nur ein Teil des Parks zugänglich. Außerdem steht das
Elefantengras jetzt hoch und erlaubt nur eine eingeschränkte Sicht.
Nun, das ist das bekannte Los des antizyklischen Reisens, dafür sind
wir keinen großen Horden an Besuchern ausgesetzt.
Bengalische Tiger, Sumpfkrokodile,
Rhinozerosse – nur einige der Arten, die hier theoretisch
anzutreffen sind und unter strengem Schutz stehen. Sogar Militär ist
hier stationiert, doch nicht wegen der Nähe zur indischen Grenze.
Wir machen zusammen mit einem britischen Pärchen eine Dschungeltour,
die uns zumindest durch einen Teil der begehbaren Zone führt. Wir
starten im Kanu, ziehen fast lautlos über den Fluss am Ufersaum aus
Elefantengras vorbei. Als wir das Boot außerhalb des Dorfes am Ufer
verlassen, beschreiten wir im Gänsemarsch – mit jeweils einem
Guide vorneweg und hintenan – nicht ganz ungefährliches Gelände.
Rhinozerosse gehören zu den durchaus aggressiver agierenden
Genossen. Sie sehen nicht sonderlich gut, hören und riechen dafür
aber umso besser. Und besonders empfindlich sind die Rhino-Damen,
wenn sie Nachwuchs dabei haben. Also bewegen wir uns behutsam und
fast schweigend durch die savannenähnliche Landschaft.
In Nähe des Flusses kämpfen wir uns
durch einen kleinen Wald aus Elefantengras. Es ist über zwei Meter
hoch und ich beeile mich, den Anschluss an meine Vorhut nicht zu
verlieren, ich wäre sonst orientierungslos und verloren. Das Gras
ist scharf und ich halte die Arme schützend vors Gesicht, während
wir uns über schlammigen Grund weiter Richtung Fluss stapfen. Unser
Guide hat ein Rhinozeros am Ufer gesichtet und winkt uns still näher
zu kommen. Gespannt und vorsichtig pirschen wir uns nacheinander ans
Ufer und erblicken hinter einigen Elefantengräsern ein leibhaftiges
Panzernashorn! Es mampft vor sich hin und schaut gelassen über den
Fluss.
Wow. Ich bin jedes Mal sehr bewegt, wenn ich ein exotisches
Tier, das mir bislang nur aus Film und Büchern ein Bild war,
plötzlich in der freien Natur bestaunen darf. Und es sind diese
besonderen, wenn auch oft sehr kurzen, Momente, in denen sich all
meine Bewunderung für ein anderes Lebewesen oder ein Naturschauspiel
entlädt. Und ich dankbar und demütig vor dem stehe, was wir wohl
Schöpfung nennen. Dafür bin ich unterwegs. Gleichermaßen getrieben
von der Neugier und der Sehnsucht nach Wundern.
Anders ergriffen stehen wir kurze Zeit
später vor dem Abdruck einer Tigerspur im nassen Waldboden. Eine
sehr frische Spur. Einer sehr großen Tatze. Sagt man Tigertatze? Wir
begegnen ihm oder ihr nicht mehr. Aber dieses Tier so nah zu wissen
ließ mich schon respektvoll erschauern.
Unser Rückweg führt uns über die
Elephant Breeding Station. Denn auch die Zahl der Elefanten ist in
Nepal bedroht. Hier können die Elefantenkühe ihre Kälber geschützt
zur Welt bringen und aufziehen. Ich habe nicht wirklich herausfinden
können, zu was diese dann hier ausgebildet werden. Ob sie für die
Elefantensafaris im Nationalpark eingesetzt werden, als
Arbeitselefanten gebraucht werden oder nur für religiöse
Zeremonien. Fakt ist, sie sind domestiziert. Es gibt auch noch wilde
Elefanten, ab und zu stürmt wohl auch mal einer das Breeding Centre
…
Hungrig kehren wir aus dem Dschungel
zurück in unsere edle Hütte am Fluss. Wir entscheiden uns für ein
Abendessen außer Haus, in einem nahe gelegenen Restaurant an der
Hauptstraße. Wir sitzen noch nicht lange am Tisch und wollen gerade
Getränke bestellen, als aufgeregt ein Kollege neben unserem Kellner
auftaucht und ihm auf Nepali etwas zuraunt. „There is a rhino in
the street!“ übersetzt unser staunender Kellner und deutet mit den
Händen zum Ausgang. Nahne und ich gucken uns kurz verunsichert an.
Ist das jetzt Touristennepp? Aber die Neugier gewinnt und wir stehen
Sekunden später draußen an der Straße in der Einfahrt zum
Restaurant. Ich traue meinen Augen nicht. Da stapft ein Rhinozeros
die Dorfstraße entlang. Unantastbar stolziert es in aller Ruhe an
Läden und Restaurants vorbei. Keines Blickes würdigt es die
neugierigen Gestalten am Straßenrand. Die Hochachtung der
Schwächeren kann man förmlich spüren. Die wie ein Panzer
aussehende Haut des schreitenden Kolosses glänzt, es muss eben dem
Fluss entstiegen sein. Ich bin zutiefst beeindruckt. Das Ego hätte
ich auch gern. Ich denke nicht eine Sekunde ans Fotografieren. Und
bin froh darüber, ich hätte das Bild sonst niemals so in meinem
Kopf einbrennen können.
Das käme schon mal vor, klärt uns der
Kellner später auf. Ab und zu kommt mal ein Rhino aus dem Park zu
Besuch ins Dorf. Und solange man es in Ruhe lässt ist alles gut. Wie
schön zu beobachten, dass auch die Einwohner immer noch aufgeregt
und gespannt auf die einschüchternden Besucher reagieren.
An unserem letzten Tag in Nepals
Tiefebene besuchen wir trotz Hitze das
Tharu-Museum
in dem zu Fuß erreichbaren Dorf
Bachhauli. Die Tharu sind die Ureinwohner dieser Gegend. Unauffällig und abgelegen liegt es am Rande der Siedlung
zwischen Gemüsefeldern. Für die Einwohner war die Ernennung dieses
großen Landstriches der Chitwan-Region zum Nationalpark ein
zweischneidiges Schwert. Viele Familien mussten umsiedeln und nicht
für alle veränderte sich ihr Leben zum Vorteil.
Die Rückkehr nach Kathmandu naht und
wir haben beide ein wenig Horror vor den Grausen der Großstadt. Nach
all den Naturschauspielen ein harter Schnitt. Doch unser Hotel
verspricht eine ruhige Oase im Innenhof, die Option auf einen defensiven
Rückzug ist also garantiert.