Samstag, 23. Januar 2016

Tanz auf dem Vulkan


Aus meiner Kindheit habe ich ein Buch über Vulkane in Erinnerung, quadratisches Format, roter Einband und mit vielen Bildern. Auf denen die Vulkane immer am oberen Ende ihrer Kegelform eine kreisrunde Öffnung hatten - den Krater - in dem es glutrot kochte, glühte und gefährlich brodelte. Von diesen Bildern habe ich mich schon längst verabschieden dürfen, dank so manch schwergängigen Schritten durch tiefen schwarzen heißen Lavasand... Doch so nah an einem Krater eines aktiven Vulkans wie hier war ich noch nie.

On our way ...




Das Ziel.

Unglaublich, wie vor einem aufgerissenen und auseinandergezerrten Berg stehe ich plötzlich vor dem Krater des Telica. Nach einem steinigen, an Geröllwüste erinnernden Anstieg erreichen wir den plateauähnlichen, aschgrauen Klippenrand, über dem wolkenartige Schwaden gen Himmel steigen.









Schwefeldämpfe. Neugierig schnüffle ich und fühle mich schlagartig an meine endlosen Stunden im Schwarz-Weißlabor erinnert, in denen ich unzählige Bögen Fotopapier im Fixierbad umwälzte - der gleiche Geruch, der damals aus der orangeroten Kunststoffwanne stieg.



Noch eindrucksvoller ist der Anblick des Grundes, aus deren Rissen und Spalten die Schwefelschwaden sich ins Freie erheben. In 150 Metern Tiefe lassen sich glühende Massen ausmachen, die die Lebendigkeit dieser monumentalen Geröllhalde für mich ausreichend bestätigen. Wow.


Nein, ganz nah an den Rand der Kraterklippe wage ich mich nicht, der verdächtig sandige Untergrund unter mir könnte sich ganz schnell unausweichlich verabschieden ...



Die sich im sinkenden Sonnenlicht kontrastvoll abzeichnenden Flanken aus Sand und Asche erheben sich elegant wie große Dünen um den offen liegenden Krater. Der Wind hat bizarre Reliefs in die Innenseiten der Dünenkämme geschliffen. Die Natur zeigt sich unübertroffen - überrascht mich, fasziniert mich, lässt mich staunen und demütig erkennen, wie vergänglich alles ist.
 


Als die Sonne sich mit einem bereits verfärbenden Himmel zu verabschieden droht, haben wir bereits den Abstieg zu einem Süd-West-Schlenker um den Telica angetreten. Jetzt kann ich von dem wahrscheinlich vom Krater ausgespuckten Stein, auf dem ich sitze, bis zum Pazifik gucken und das endgültige Verschwinden des glühenden Balles am Horizont verfolgen.




Der Cerro Negro ist der Youngster unter den Vulkanen - erst 150 Jahre alt (sagt der Guide). Ein eindrucksvoller riesiger Hügel aus schwarzem Sand, der im entsprechenden Licht einen erhabenen Glanz ausstrahlt. Dass man von dessen keine 800 Meter hohen, dünenhaften Abhängen mit einem Brett wieder herunterrutschen kann, ist ein völlig überbewerteter Touristenspaßbereiter, den auch ich ausprobieren musste.


Der Aufstieg ist dank Schattenseiten weniger anstrengend als erwartet. Und der Ausblick über die nördlichen Bergzüge Nicaraguas in Richtung Honduras, auf den San Cristobal (größter Vulkan Nicaraguas) und den Consiguena an der Pazifikküste sind unschlagbar eindrucksvoll. Am Kraterrand weht ein wohltuender Wind. Schaufelt man ein Loch, wird es unter dem sonnenerhitzten Sand nicht kühler - im Gegenteil, hier könnte man im Sand Eier braten.

Aus der weitläufigen Kraterlandschaft steigen Schwefelsäulen auf. Gestein, Asche, Lava und Ablagerungen muten im Innern des auffällig flachen Vulkankraters das Bild einer niedergebrannten Stadt an. Der Blick in die umliegende Landschaft zeugt von einem nicht allzu lange zurückliegenden Ausbruch:  Schwarze Lavazungen erstrecken sich über Ebenen und Wälder, unregelmäßige Ausläufer, die in das Land hineingeflossen sind. Vor gar nicht allzu langer Zeit ...















Samstag, 9. Januar 2016

Tage in Leon

Die Zeit in Leon neigt sich dem Ende. Und obwohl ich anfangs befürchtete, mir könnten acht Tage zu lange sein und in Erwägung zog, vor dem geplanten Aufenthalt in der Sprachenschule im Norden noch einen Zwischenstopp woanders einzulegen ...

Mein derzeitiger Begleiter beim Busfahren ...

 ... jetzt bin ich froh, dass ich mich mehrmals durch Leons Straßen  habe treiben lassen, durch Viertel und über Märkte, die jenseits der touristisch üblichen Pfade liegen. Und nochmals an den Pazifik fuhr, um auch den letzten erreichbaren Strandabschnitt zwischen Las Penitas und Poneloya zu erkunden.







 



Dass ich das - auch mit meiner Kamera in der Hand - so unerschrocken und neugierig und entspannt tun konnte liegt an der Freundlichkeit dieser Menschen hier. Ich bin wirklich berührt von der Offenherzigkeit, dem Wohlwollen und der Fröhlichkeit, die die Nicas mir bislang entgegen gebracht haben. Selbst wenn ein erster Blickkontakt ernst, distanziert oder vielleicht sogar unsicher scheint - mit einem Lächeln ist der Bann sofort gebrochen. Mein Lächeln wird erwidert, fast spüre ich Erleichterung. Ja, hier bin ich die Fremde.

World of Plastic

 Ich hatte ganz vergessen, wie viel Freude und Freiheit es mir bedeutet, wenn ich zeitlos mit meiner Kamera durch die Straßen streifen, mich über bunte quirlige Märkte treiben lassen und ganz unaufdringlich beobachten darf ... und ich bin erstaunt über mich selber, als würde ich ständig ein Unwohlsein, Fremdelgefühl oder Beklommenheit vermissen. Doch ich kann einfach vertrauen, schäme mich nicht meiner Unwissenheit und habe gelegentlich gefragt, ob ich fotogefieren darf. Zum Beispiel in der Küche des kleinen unspektakulären "Pupusa"-Restaurants gleich an der nächsten Straßenecke (Pupusas sind kleine, entweder mit Bohnen, Käse oder Fleisch oder allem, gefüllte Maistortillas aus Honduras). Oder die Jungs, die nahe des Busterminals in San Juan die riesigen Plastikmüllsäcke verladen.



"Pupusas" aus Honduras, wie mir ein Mensch aus Ecuador erklärte ....


Erstaunlich & unerwartet: Fahrradkultur an jeder Ecke!

 Es ist wahr, insbesondere beim Reisen - und insbesondere beim Alleinereisen - ist plötzlich eine Achtsamkeit lebendig, wie ich sie im Alltag oft vergesse,  verdränge, vermisse. Das neugierige Beobachten alles Fremden, Neuen, Unbekannten. Das vorsichtige Herantasten an Sprache, Umgangsformen und natürlich das Essen. Alles ist anders, die Geräusche der Stadt, der Kaffee am Morgen, die Gerüche in den Straßen und auf dem Markt, die Gesichter der Menschen, das Tempo der Menschen auf dem Bürgersteig ... so viele Eindrücke.






Dienstag, 5. Januar 2016

Auf einmal war es soweit ...

Seit ein paar Tagen bin ich nun tatsächlich in Nicaragua ... inzwischen kann ich es sogar selber glauben. Doch zu realisieren, dass man sich genau an dem Punkt befindet, wo in den vergangenen Monaten immer nur ein Finger auf der Landkarte hinzeigte ... das braucht zwei, drei, vier Tage. Die Atlantiküberquerung geht schneller als man schlafen kann.

Leon

Dass ich hier keinen auf wenige Wochen begrenzten "Urlaub" verbringe, wird mir dann bewusst, wenn ich mit anderen Reisenden ins Gespräch komme und ich nach meinen Zielen und Plänen gefragt werde. Wow. Was für ein Luxus. Wie entspannt ich auch hier in Leon einfach sein und mich treiben lassen kann, nichts drängt mich dieses und jenes noch sehen, erleben und erfahren zu müssen. Und dass vor mir tatsächlich ein Jahr liegt, über das ich bestimme und in dem ich keiner geregelten Arbeit nachgehe ... auch das will noch verinnerlicht werden.

Die vor der tatsächlichen Fahrt zum Flughafen in mir tobende Zerrissenheit zwischen Aufregung und Unsicherheit gleichermaßen vor Ungewissheit und vielen unbekannten Variablen meines ersehnten Abenteuers. Und gleichzeitig der aus Erfahrung und Vertrauen erwachsenen Gewissheit, das alles sich findet, ergibt und ich mich darauf verlassen kann, dass das Universum und andere Menschen es gut mit mir meinen.



Und meine Befürchtung, in Managua müsste ich mich nach anstrengendem langen Flug erstmal mit Misstrauen den Taxifahrern stellen, mein Gpäck an mich klammern und auch das Busfahren mit Vorsicht genießen, zerschlug sich bereits in Panama City, als ich am Airport Racheli aus Israel traf (in Wahrheit saßen wir schon seit Frankfurt im selben Flieger), die ebenfalls von Managua gleich nach Leon weiterreisen wollte. Also waren wir schon mal zu zweit, beide reiseerfahren und trotzdem oder gerade deshalb sehr erfreut über diese Gemeinsamkeit. Und am Gepäckband in Managua ergab sich dann - nachdem Racheli und ich uns aus Freude über tatsächlich angekommenes Gepäck erstmal erleichtert in die Arme fielen - dann die Option mit Anna und ihrem bestellten Abholservice mitzufahren - falls der Wagen groß genug und der Fahrer einverstanden. Carlos hatte jedenfalls kein Problem damit und Racheli und ich waren dankbar für die zwar teurere Variante, aber nach langem langem Gefliege und Zwischengestoppe definitiv die entspanntere.




So, here I am.

Es ist bunt. Es ist laut. Es ist hell. Es ist warm. Alles ist freundlich. Spätestens nach der Entfremdung durch ein Lächeln.
Deshalb traute ich mich in die lokale Markthalle, tollkühn probierte ich (in vollem Bewusstsein meiner political incorrectness) Schildkröteneier (keine Angst, es war das erste und das letzte Mal) und Dinge, deren deutschen Namen ich schon gar nicht weiß. Ich versuche es immer mit meinem Spanisch, an die Aussprache der Nicas muss ich mich noch gewöhnen.



Ohne ein ehrgeiziges Sightseeing-Programm habe ich durch reines Herumschlendern und vorsichtiges Herantasten an mein eigenes Aklimatisierungsbedürfnis schon so viel gesehen, erlebt und erfahren. Durch Zufall entdeckte ich gegenüber der berühmten Kathedrale Leons ein in einem alten heruntergekommenen Gebäude der 20er Jahre untergebrachtes Museum - das "Museo Historico de la Revolucion". Angesichts der Männer, die auf den Treppenstufen und auf dem Bürgersteig im Schatten davor saßen und mich freundlichst aufforderten hineinzukommen, ahnte ich, dass dies alles alte Revolutionsveteranen sind.






Mein Halbwissen über Nicaraguas Sandinisten und den Bürgerkrieg stammt aus einem Hollywoodstreifen mit Nick Nolte und den Romanen von Giaconda Belli (sehr empfehlenswert, chicas y chicos!). Der nur sechs Jahre ältere Marcelo - Ex-Guerilla mit Leidenschaft - führte mich und vier andere Lateinamerikanerinnen durch die authentische Ausstellung von Bildern, Zeitungsartikeln, Waffenartefakten und ausreichend Einschusslöchern.
Ich war von der autobiografisch geprägten Erzählkunst des stolzen ehemaligen Guerilla-Kämpfers beeindruckt, auch wenn ich den Luxus erfahren durfte, Waffen und Gewalt jeder Art zu verabscheuen. Ich habe seine Begeisterung für die internationale Unterstützung (eben auch den Deutschen gegenüber - mal eine ganz andere Erfahrung) in seiner unzweifelhaften Ehrlichkeit spüren dürfen.

Die diktatorische Vergangenheit. der nachhaltige Bürgerkrieg, die aktuelle politische Situation, die Halbwahrheiten und die Korruption ... ich bin gespannt, ob ich sich mir davon mehr erschließt. Auch dafür wird ein besseres Spanisch nützlich sein.





In Leon bin ich mittlerweile angekommen. Der Supermarkt in der Nähe, von dem das Trinkwasser am wenigsten lang zu tragen ist. Und der wunderbar auf der Zunge zergehende Rum "Flor de Cana" auch in der 375 ml - Flasche günstigst zu erwerben ist. Siete anos, claro.

Buenas noches.