Mittwoch, 30. März 2016

Leben im Dschungel am Rio Papaturro

Als ich mich von der Grand River Lodge verabschiedete und abermals im Boot zurück nach San Carlos schipperte, war ich noch unsicher, wohin mein Weg mich als nächstes treiben sollte. Ich wollte noch an die karibische Küste Nicaraguas, nach Bluefields und auf die Corn Islands. Am liebsten in Bus und Boot über El Rama. Doch die Tatsache, dass ich mich mit meiner Freundin Judith im April in Havanna treffen wollte, stellte mich vor die Aufgabe, vorher noch eine Touristenkarte für die Einreise nach Kuba in Managua zu organisieren. Ob über die Fluggesellschaft oder die Kubanische Botschaft, das musste ich noch herausfinden. Ich hatte keine Vorstellung, ob ich das an einem Tag organisieren konnte, oder gar im wenig attraktiven Managua verweilen musste. Was für ein Organisations- und Entscheidungssalat. Beruhigenderweise wusste ich von der Existenz eines Internetcafes in San Carlos, da ließ sich hoffentlich einiges klären.

Kaum war ich wieder in San Carlos angekommen, traf ich Katharina vor dem Gebäude der Touristeninformation. Wir kannten uns von der Finca Samaria auf  Ometepe. Katharina war soeben in San Carlos angekommen und hatte die Abfahrtszeiten der Boote erfragt. Sie wollte an den Rio Papaturro ins "Refugio de Vida Silvestre Los Guatuzos", wo es kleine Unterkünfte im Dschungel gibt und sachkundige Führer für die Streifzüge durch Flora und Fauna. Das klang äußerst einladend. Ich entschied, einen "Bürotag" einzulegen und am Nachmittag im Internet die Optionen für das kubanische Touristenvisum und Flüge nach Kuba zu recherchieren. Danach würde ich wissen, ob ich mich Katharina anschließen möchte, oder zeitig nach Managua aufbreche.

Natürlich entpuppte sich jegliche potentielle Komplikation als Hirngespinst. Ich fand heraus, dass die kubanische Botschaft zuständig ist und mir noch reichlich Zeit blieb, meine "tarjeta turistica" dort zu beantragen. Flüge nach und aus Kuba heraus waren nach ausführlicher Recherche auch gebucht. Somit ergriff ich die willkommene Gelegenheit nochmal in die abgelegene Natur zu entschwinden. Dem Abenteuer stand nun nichts mehr im Wege.

Das Boot zum Rio Papaturro sollte um neun Uhr morgens ablegen. Wir kletterten mit unseren Rucksäcken auf einen hölzernen Kahn, der schon reichlich mit Waren beladen war. Im Rumpf unseres Wassertaxis wurden nach Bedarf schlichte Holzbänke in L-Form in die Seitenwände eingeklinkt und somit Sitzplatz geschaffen.

Gemächlich tuckerte das Boot über den Nicaragua-See. Wir passierten einen Teil der Islas Solentiname, neben der Isla Ometepe die zweite Inselgruppe im Lago de Nicaragua. Von dort aus liegt das Naturschutzgebiet Los Guatuzos südlich in der Uferregion des Sees und erstreckt sich bis an die Grenze nach Costa Rica.

Als wir uns dem Seeufer nähern, um auf die Flussmündung des Rio Papaturro zuzusteuern, drosselt unser Steuermann die Bootsmotoren. Der tiefe Wasserstand zwang uns zum behutsamen Vortasten in diesen Untiefen. Wir konnten ein weiteres kleineres Fischerboot beobachten, das mit ebenfalls reduzierter Geschwindigkeit erfolgreich die Flussmündung erreichte. Wir hatten nicht so viel Glück. Trotz vorsichtigem Navigieren und minimaler Geschwindigkeit lagen wir plötzlich mit dem Rumpf auf Grund. Nach einigen erfolglosen Versuchen, das Boot mit Motorkraft von der Stelle zu manövrieren, kletterte einer der Bootsmänner über Bord ins Wasser. Erschreckend: der Wasserspiegel des Sees reichte ihm knapp bis an die Knie. Und wir waren nicht etwa ein kleines Ruderboot. Sondern beladen mit geschätzt 30 Leuten plus einigen Waren und Gepäck.

Jetzt waren Handarbeit und Manpower gefragt. Spontan gesellten sich einige der männlichen Passagiere zu den bereits durchs Wasser watenden Bootsleuten. Aber es waren immer noch zu viele Menschen auf dem Boot. Also, Schuhe aus, Hosen hoch gekrempelt und über die Bordwand.
 






Mein erster Gedanke, als meine nackten Füße den Grund trafen: "Fühlt sich verdammt nach Watt an...". Okay, ein bisschen Sand, ein bisschen Schlick - Hauptsache wir kriegen den Kahn wieder in Fahrt. Nach einigem Hin und Her, bewundernswerter Gelassenheit der Bootsleute und ausreichend Schubkraft der im See Watenden, bekamen wir den Pott auch wieder in die Spur. Hoffnungsvoll hievten wir uns wieder in den hölzernen Rumpf.

Mit der Einfahrt in den Rio Papaturro präsentierte sich uns unvermittelt eine neue Welt. Grüner. Stiller. Geheimnisvoll. Wir schipperten behutsam einen kleinen Flusslauf hinauf, durch Schilf und Untiefen. Vorbei an laubarmen Bäumen, in denen sich die Leguane räkelten und sich die Brüllaffen tummelten.
 

Vorbei an lauernden Kranichen und Caimanen, die sich am Ufer von der Sonne wärmen ließen. Die eine und andere Schildkröte ließ ihren Kopf über der Wasseroberfläche blicken. Ich war sofort wie verzaubert. Plötzlich hatte ich das Gefühl, einen ganz besonderen Ort zu betreten. Ich wollte hier sein dürfen, ohne etwas zu stören. Ich wollte Beobachter einer Welt sein dürfen, in die ich nicht hinein gehörte. 

Der niedrige Wasserstand des Papaturro zwang uns nochmals das Boot zu wechseln. Nicas mit Warenladung und wir mit unserem Gepäck siedelten in ein kleineres Boot über, um das letzte Stück auf dem Fluss bis zu unserer Hütte zu schippern. Die anderen machten den Rest des Weges am Ufer zu Fuß.


In den "Caiman Cabanas" wurden wir herzlichst empfangen von Aillen und ihrem Mann Armando. Beide sehr engagiert in ihrem Einsatz für den Schutz und Erhalt des Lebensraumes am Papaturro. Für Tiere wie für Menschen ist der geringe Wasserstand des Flusses nicht nur ein Problem, sondern eine Bedrohung. Erschwerend kommt hinzu, dass der Papaturro die Grenze nach Costa Rica überquert und somit manche Fragen über die Grenzen hinaus geklärt werden müssen. Aillen konnte uns aktuell von positiven Entwicklungen berichten, da sie zu einem Austauschtreffen über die Grenze gereist war, um die Wassernot zu diskutieren.

Unsere "Cabana" am Rio Papaturro
Armando ist der Mann, der in der ganzen Umgebung bekannt ist für seine Kenntnisse der Pflanzen und Tiere, die uns hier umgeben. Und für seine Adleraugen, denen kein Vogel und kein Frosch entgeht. Außerdem ist er nicht nur in Nicaragua, sondern auch bereits in Deutschland, für seine Schnitzereien von Tieren seiner Heimat bekannt. Die Städtepartnerschaft zwischen San Carlos und Erlangen hat ihn sogar schon nach Deutschland geführt, wo er seine Kunst, mit Kettensäge und Messer unglaubliche Kreaturen aus Baumstämmen zu erschaffen, im Rahmen eines Austauschprojektes zeigte.






Mit Armando haben wir eine frühmorgendliche Exkursion durch den nahen Dschungel gemacht. Haben bewundert, was dieser Mann alles in dem für unser Auge undurchsichtigen Wald entdeckt. Frösche, Käfer, Schlangen, Spechte, Faultier, Opossum ...  Orchideen. Bäume und Früchte.













Cacao
Mein erstes Faultier!

Lianenschaukel





Der morgendlichen Dschungeltour folgte eine nächtliche Bootstour. Armando zeigte uns seine Welt bei Nacht. Die leuchtenden Augen der Caimane auf dem Papaturro leuchteten wie Hunderte von Fahrzeugen auf der Autobahn. Eine vermeintlich kranke Schildkröte am Ufer nahm er genauer unter die Lupe. Einen Baby-Caiman griff er sich aus dem Wasser, um ihn uns aus der Nähe zu zeigen. Vögel und Leguane, die in den Bäumen und Büschen am Ufer ruhten, waren von seinem Blick nicht verschont.








Mit Armando sah ich noch nie Gesehenes. Doch auch auf unserer Kayak-Tour über den Rio Papaturro bis zum Lago de Nicaragua sahen Katharina und ich zahlreiche Leguane, in unterschiedlichen Farben. Libellen. Schmetterlinge. Schildkröten. Kraniche. Adler.  ...

Mein erster Ameisenbär!
Eines der Bilder, die ich wohl niemals vergesse: Das sagenhafte Ballett der Glühwürmchen vor unserer Hütte am gegenüberliegenden Ufer. Ein fortwährendes  Aufblinken in den Gräsern, Büschen und Bäumen. Als ob eine Melodie den Rhythmus der schwebenden Reflexe vorgeben würde. Aus den benachbarten Hütten der biologischen Station erklingt tatsächlich ein Sopran-Saxophon. Und die klitzekleinen tanzenden Leuchtkörper begrüßen scheinbar jeden Ton.



Unvergesslich auch die allmorgendlichen Monsterlaute der Brüllaffen. Ganz nah an unserer Hütte konnten wir den "howler monkeys" lauschen (statt Hahnengeschrei), die brüllen, als wären sie groß wie Bären und hätten ein ganzes Rudel zu verteidigen. Dabei sind sie nicht größer als maximal ein einjähriges Kind und bewegen sich fast nur in den hohen Baumwipfeln. Näher kommen sie den Menschen hier nicht. Man hört die Affen mehr, als dass man sie zu sehen bekommt. Solange man nicht weiß, wer dieses irre Gebrüll produziert, hat es aber durchaus eine Furcht einflößende Wirkung. 


Was für ein Eintauchen in eine neue Welt. Ich habe all diese Eindrücke, Erlebnisse und Beobachtungen fasziniert "aufgesaugt". Und voller Dankbarkeit, weil ich teilhaben durfte an dieser unbekannten Welt. Dankbar, dass Menschen wie Aillen & Armando mir ihre Welt zeigen mögen.

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