Diesmal
ist alles anders. Ich reise nicht allein, sondern mit ganz besonderer
und vertrauter Begleitung: meinem Bruder, Nahne. Ich plane nicht
allein, ich entscheide nicht allein. Wie viel leichter sich das alles
anfühlt. Und eine neue Freude gesellt sich ganz von selbst dazu: Die
Freude darüber, dass mein einziger Bruder meine Abenteuerlust teilt
und sich mit mir auf einen für uns beide außergewöhnlichen Weg
macht. Denn das ist eine Premiere für Bhai (Nepali für "jüngerer
Bruder") und Didi (Nepali für "ältere Schwester") - so lange waren wir noch nie zusammen unterwegs, weder in Nepal noch
anderswo. Nahnes Vorhaben, mich in meinem Sabbatical, meinem Reisejahr egal wo auf
diesem Planeten für eine Weile zu besuchen, erlitt keinen Einbruch
nach meiner unerwarteten Rückkehr nach Hamburg im Juni. Wir entschieden uns schlichtweg
gemeinsam für ein neues, hohes Ziel im September: Himalaya. Nepal.
Doch
aller Widersprüchlichkeit zum Trotz schleicht sich kurz vor Abflug
ein fieser Geselle in mein Gepäck - Angst. Zum ersten Mal auf all
meinen Reisen, macht sich dieses mir fremde Gefühl in mir breit, nistet
sich in meinem Nacken ein und lässt sich auch auf dem Weg zum
Flughafen nicht abschütteln. Ich spüre eine unheimliche Welle
innerer Panik bei dem Gedanken an unseren bevorstehenden langen Flug.
Keine direkte Angst um mich, vielmehr um den Menschen, der sich an
meiner Seite mit mir auf den Weg macht. Paradox und irrsinnig. Ich
kann nicht sagen, ob diese Angst meinem großschwesterlichen
Beschützerinstinkt zuzuschreiben ist. Oder ich ganz einfach nur dem
Glück nicht traue, diese Reise in der ersehnten Zweisamkeit mit
jemand Vertrautem erleben zu dürfen.
Oder greift etwa das weltweite
Szenario aus Unsicherheit und steigender Angst angesichts des
Wahnsinns von Gewalt, Terror und Krieg nun auch auf mich über?
Mit diesem undefinierbaren mulmigen Gefühl im Bauch schleiche ich
durch Dubais Flughafengänge. Ohnmächtig versuche ich mich
abzulenken. Wir haben sechs Stunden Aufenthalt auf unserem Weg nach Kathmandu zu überbrücken und
essen erst einmal beim Inder. Dann fährt uns ein Shuttlebus fast
endlos lang über den ganzen Flughafen zum nächsten Terminal. In der Maschine nach Kathmandu kann ich endlich ein wenig schlafen.
Beim Warten darauf, dass unsere Rucksäcke vom Gepäckband in Kathmandu ausgespuckt werden, lernen wir Prem kennen. Er saß schon mit uns im Shuttle in Dubai, ebenfalls auf dem Weg von Deutschland zurück in die Heimat. Er war beruflich unterwegs, freut sich nun auf seine Familie und erzählt von seiner kleinen Tochter, die morgen Geburtstag hat. Wir teilen uns ein Taxi, das wir dann auch nicht zahlen dürfen. Es ist schon dunkel, doch wir finden das Schild unseres Hotels mitten in einer belebten Straße, wo es in einem Hinterhof liegt. Unglaublich, wir sind in Kathmandu. Wirklich.
Laut.
Laut, laut, laut. Nicht das einzelne Geräusch macht es für unsere
Ohren zur Tortur. Es ist das ganze Potpourri aus Hupen in höchsten
Tönen, Autos, Bussen, Lastern, Mopeds und auch Fahrradklingeln. An
mehrspurigen Straßen sehen wir kaum jemanden, der keinen Mundschutz
trägt. Von der einfachen selbst genähten Stoffvariante in
herrlichsten Mustern und Farben bis zum effektiveren Modell mit
echtem Atemschutztfilter. Die ruhigsten Straßen scheinen die
Einkaufsgassen für die Touristen in und um Tamel, rund um die
Hostels und Hotels. Doch auch hier quetschen sich Rikschas und Mopeds
durch die Menge und hupen, hupen, hupen - weil man präventiv immer hupt.
Trotz des Regens leuchtet es in den Straßen in Tausenden von Farben - die farbenfrohe Kleidung, das knallbunte outdoorlastige Warenangebot vor den vielen kleinen Läden, die fantasievollen Holzanstriche der Häuser, die in jeder Größenordnung an jeder zweiten Straßenecke posierenden Tempel mit ihren vor allem gelben, orangenen und roten Opfergaben, mit Hindu-Gottheiten bemalte Busse und kunstvoll verzierte Lastwagen ... Alles ist Farbe. Und keiner unserer Sinne kommt zu kurz - auch das Essen ist umwerfend! Schärfe, Gewürze und neue Gemüsesorten erweitern unseren kulinarischen Horizont und lassen uns schnell Versöhnung finden mit dem uns nah an den Nervenzusammenbruch bringenden Geräuschpegel dieser Stadt.
Nachdem wir uns mit Regenhose, Regenponcho und einer Landkarte der Annapurna-Region eingedeckt haben sind wir auch schon innerlich auf Weiterreise nach Pokhara. Morgen geht der Bus Richtung Westen, wo wir uns kundig machen wollen um mit einem Guide den Annapurna-Panorama-Trek zu wandern. Außerdem soll es dort weniger regnen.
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