Freitag, 30. Dezember 2016

Zur falschen Zeit am schönen Ort: Auf den Spuren fast ausgerotteter Geschöpfe im Chitwan Nationalpark


Nach unserer einwöchigen Wanderung in der Annapurna-Region beschließen wir es in der nepalesischen Tiefebene entspannt angehen zu lassen. Um von Pokhara dorthin zu gelangen, trauen wir uns abermals im Bus auf Nepals schlammige Schotterpisten. Waghalsige Überholmanöver bei regem Lkw-Verkehr in einem vollen Touristentransporter, wir gewöhnen uns langsam daran. Neu ist eine Zwangspause an der Straße wegen der defekten Klimaanlage, der Busfahrer hält an mehreren abenteuerlich aussehenden Werkstätten entlang der Straße. Irgendwann findet sich ein kompetenter Schrauber und wir setzen unsere Reise durch die Schlaglöcher fort.



Der Nationalpark liegt direkt am Rapti River. Wir geben unserem Erholungsbedürfnis nach und mieten uns einen herrlichen Unterschlupf im River View Jungle Camp – mit Blick auf Fluss, Hochgras und Elefantenbad. Nach dem Ausflug in die Berge mit klarer Luft und eher milden Temperaturen, müssen wir uns erstmal an tropische Hitze und höhere Luftfeuchtigkeit in der Ebene hier gewöhnen.


Stundenlanges Frühstücken am Fluss und den Elefanten beim Baden zuschauen – das entspricht genau unserer Vorstellung von Urlaubsmodus. Doch natürlich wollen auch wir unsere Chance nicht ungenutzt lassen, hier vielleicht ein seltenes Geschöpf zu Gesicht zu bekommen. Es ist nicht die vorteilhafteste Jahreszeit für einen Besuch des Chitwan Nationalparks, denn um diese Zeit ist nur ein Teil des Parks zugänglich. Außerdem steht das Elefantengras jetzt hoch und erlaubt nur eine eingeschränkte Sicht. Nun, das ist das bekannte Los des antizyklischen Reisens, dafür sind wir keinen großen Horden an Besuchern ausgesetzt.



Bengalische Tiger, Sumpfkrokodile, Rhinozerosse – nur einige der Arten, die hier theoretisch anzutreffen sind und unter strengem Schutz stehen. Sogar Militär ist hier stationiert, doch nicht wegen der Nähe zur indischen Grenze. Wir machen zusammen mit einem britischen Pärchen eine Dschungeltour, die uns zumindest durch einen Teil der begehbaren Zone führt. Wir starten im Kanu, ziehen fast lautlos über den Fluss am Ufersaum aus Elefantengras vorbei. Als wir das Boot außerhalb des Dorfes am Ufer verlassen, beschreiten wir im Gänsemarsch – mit jeweils einem Guide vorneweg und hintenan – nicht ganz ungefährliches Gelände. Rhinozerosse gehören zu den durchaus aggressiver agierenden Genossen. Sie sehen nicht sonderlich gut, hören und riechen dafür aber umso besser. Und besonders empfindlich sind die Rhino-Damen, wenn sie Nachwuchs dabei haben. Also bewegen wir uns behutsam und fast schweigend durch die savannenähnliche Landschaft.





In Nähe des Flusses kämpfen wir uns durch einen kleinen Wald aus Elefantengras. Es ist über zwei Meter hoch und ich beeile mich, den Anschluss an meine Vorhut nicht zu verlieren, ich wäre sonst orientierungslos und verloren. Das Gras ist scharf und ich halte die Arme schützend vors Gesicht, während wir uns über schlammigen Grund weiter Richtung Fluss stapfen. Unser Guide hat ein Rhinozeros am Ufer gesichtet und winkt uns still näher zu kommen. Gespannt und vorsichtig pirschen wir uns nacheinander ans Ufer und erblicken hinter einigen Elefantengräsern ein leibhaftiges Panzernashorn! Es mampft vor sich hin und schaut gelassen über den Fluss.


Wow. Ich bin jedes Mal sehr bewegt, wenn ich ein exotisches Tier, das mir bislang nur aus Film und Büchern ein Bild war, plötzlich in der freien Natur bestaunen darf. Und es sind diese besonderen, wenn auch oft sehr kurzen, Momente, in denen sich all meine Bewunderung für ein anderes Lebewesen oder ein Naturschauspiel entlädt. Und ich dankbar und demütig vor dem stehe, was wir wohl Schöpfung nennen. Dafür bin ich unterwegs. Gleichermaßen getrieben von der Neugier und der Sehnsucht nach Wundern.


Anders ergriffen stehen wir kurze Zeit später vor dem Abdruck einer Tigerspur im nassen Waldboden. Eine sehr frische Spur. Einer sehr großen Tatze. Sagt man Tigertatze? Wir begegnen ihm oder ihr nicht mehr. Aber dieses Tier so nah zu wissen ließ mich schon respektvoll erschauern.


Unser Rückweg führt uns über die Elephant Breeding Station. Denn auch die Zahl der Elefanten ist in Nepal bedroht. Hier können die Elefantenkühe ihre Kälber geschützt zur Welt bringen und aufziehen. Ich habe nicht wirklich herausfinden können, zu was diese dann hier ausgebildet werden. Ob sie für die Elefantensafaris im Nationalpark eingesetzt werden, als Arbeitselefanten gebraucht werden oder nur für religiöse Zeremonien. Fakt ist, sie sind domestiziert. Es gibt auch noch wilde Elefanten, ab und zu stürmt wohl auch mal einer das Breeding Centre …


Hungrig kehren wir aus dem Dschungel zurück in unsere edle Hütte am Fluss. Wir entscheiden uns für ein Abendessen außer Haus, in einem nahe gelegenen Restaurant an der Hauptstraße. Wir sitzen noch nicht lange am Tisch und wollen gerade Getränke bestellen, als aufgeregt ein Kollege neben unserem Kellner auftaucht und ihm auf Nepali etwas zuraunt. „There is a rhino in the street!“ übersetzt unser staunender Kellner und deutet mit den Händen zum Ausgang. Nahne und ich gucken uns kurz verunsichert an. Ist das jetzt Touristennepp? Aber die Neugier gewinnt und wir stehen Sekunden später draußen an der Straße in der Einfahrt zum Restaurant. Ich traue meinen Augen nicht. Da stapft ein Rhinozeros die Dorfstraße entlang. Unantastbar stolziert es in aller Ruhe an Läden und Restaurants vorbei. Keines Blickes würdigt es die neugierigen Gestalten am Straßenrand. Die Hochachtung der Schwächeren kann man förmlich spüren. Die wie ein Panzer aussehende Haut des schreitenden Kolosses glänzt, es muss eben dem Fluss entstiegen sein. Ich bin zutiefst beeindruckt. Das Ego hätte ich auch gern. Ich denke nicht eine Sekunde ans Fotografieren. Und bin froh darüber, ich hätte das Bild sonst niemals so in meinem Kopf einbrennen können.


Das käme schon mal vor, klärt uns der Kellner später auf. Ab und zu kommt mal ein Rhino aus dem Park zu Besuch ins Dorf. Und solange man es in Ruhe lässt ist alles gut. Wie schön zu beobachten, dass auch die Einwohner immer noch aufgeregt und gespannt auf die einschüchternden Besucher reagieren.



An unserem letzten Tag in Nepals Tiefebene besuchen wir trotz Hitze das Tharu-Museum
in dem zu Fuß erreichbaren Dorf Bachhauli. Die Tharu sind die Ureinwohner dieser Gegend. Unauffällig und abgelegen liegt es am Rande der Siedlung zwischen Gemüsefeldern. Für die Einwohner war die Ernennung dieses großen Landstriches der Chitwan-Region zum Nationalpark ein zweischneidiges Schwert. Viele Familien mussten umsiedeln und nicht für alle veränderte sich ihr Leben zum Vorteil.




Die Rückkehr nach Kathmandu naht und wir haben beide ein wenig Horror vor den Grausen der Großstadt. Nach all den Naturschauspielen ein harter Schnitt. Doch unser Hotel verspricht eine ruhige Oase im Innenhof, die Option auf einen defensiven Rückzug ist also garantiert.




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